Der Workshop wurde mit Förderung der Landeszentrale für politische Bildung von der artothek berlin und artspring berlin/ Ateliergemeinschaft Milchhof e.V. in Kooperation mit der Volkshochschule Pankow durchgeführt.

Trotz stilisierter Skulptur-Figuren wie »Mutter mit Kind«, »Trümmerfrau«, »spielende Mädchen« und zahlreiche weibliche Akte wird im Stadtbild die Sicht- und Unsichtbarkeit des Weiblichen – als historisch relevante Figur, als künstlerische Urheberin und Gestalterin von Stadt – deutlich. Es lohnt sich, sich diese skulpturalen Frauenfiguren bei Spaziergängen zum Beispiel in Pankow näher anzusehen. Einige von Bildhauerinnen der DDR geformte Skulpturen weichen mitunter von der sozialistisch-realistischen Formensprache ab und gestalten im vorgegeben Formenkatalog individuelle Plastiken für den urbanen Raum.

Das »Liegende Paar« (1981) von Sabina Grzimek (3) im Prater Garten an der Kastanienallee ist ein Beispiel dafür. Ein halb liegender Mann ist neben einer liegenden Frau auf einem niedrigen Betonsockel platziert. Die beiden Figuren berühren sich dabei kaum und scheinen über dem Boden zu schweben. Die Beine des Paares ragen in die Luft, ebenso verlaufen die langen Haare der Frau senkrecht zum Boden und verstärken den schwebenden Eindruck. Die aufgeraute Oberfläche der Skulpturen verstärkt den fluiden Charakter. Diese Details geben dem filigranen Figurenensemble, neben dem zudem ein Brunnengefäß von der Künstlerin platziert wurde, eine surrealistisch traumhafte Atmosphäre.

Assoziationen wie Quelle und Ursprung, Natur und Mensch, Liebe und Fruchtbarkeit sind intendiert, werden aber durch die Leerstellen zwischen den Figuren und dem kelchartigen Brunnenobjekt offen gehalten. Eine andere, frühere Skulptur von Sabina Grzimek, »Stehendes Paar« von 1968 an der Gubitzstraße Ecke Ostseestraße, wirkt durch die zurückhaltende Gestik der Figuren, ihre kleinen Köpfe und ihr Nebeneinanderstehen (ohne sich zu berühren) ebenso seltsam entrückt. Die Bildhauerin Birgit Horota-Müller (4) ist weniger bekannt als ihr Mann Stephan Horota, dessen zahlreiche Tierskulpturen in Parkanlagen stehen. Neben Grafiken und Lithografien von Tieren gestaltete Birgit Horota-Müller eine zehn Meter lange Bronzetafel mit dem Titel »Aus der Geschichte des Bezirks Prenzlauer Berg von Berlin« (1971). Diese ist an der Parkmauer des Einganges zum Volkspark Prenzlauer Berg befestigt und schildert die Geschichte des Prenzlauer Berges. In Reliefen stellt die Künstlerin Szenen aus dem Kaiserreich, der Gründerzeit, dem nationalsozialistischen Deutschland sowie einen sowjetischen Soldaten dar und integriert in diese historische Chronologie Künstlerinnen des Prenzlauer Berges: Käthe Kollwitz, Heinrich Zille und der Architekt Hermann Henselmann sind bei ihren künstlerischen Tätigkeiten zu sehen; Eine sehenswerte Ostberliner Chronologie der Stadt.

In dem Bürgerpark Pankow befindet sich das Ensemble »Der Dichter und das Mädchen« (1999) der Bildhauerin Sabine Teubner-Mbaye (5). Fichten umsäumen die zweiteilige Skulptur und generieren eine pastorale Beschaulichkeit im Stadtpark. Die lebensgroßen Skulpturen wurden dabei zu unterschiedlichen Zeitpunkten aufgestellt: Die liegende Figur »Der Dichter« im Jahre 1989 und das stehende und kraftvoll wirkende »Mädchen« nach der Wende im Jahre 1997. Dies mag ein Grund sein, warum die Figuren trotz eines klassischen BildhauerSujets individuell und solitär wirken. Eine Frauenfigur aus Sandstein mit abstrahierten Körperformen (2002) der Künstlerin ist gut sichtbar an der Straßenecke Florastraße und Görschstraße platziert, und eine halbrunde Bank lädt dort zum Verweilen ein. Der Titel »Bruch ist ganz« lässt viele Deutungen zu.

 

 

Eine spannende Geschichte ist mit der Skulpturengruppe »Drei Frauen« der Bildhauerin und Zeichnerin Carin Kreuzberg (6) verknüpft. Ursprünglich war es eine Auftragsarbeit (1979) für den Vorplatz des ›VEB ElektrokeramikWerkes‹ in der Florastraße. Die Idee, drei Frauen für den Platz zu gestalten, kam der Künstlerin, nachdem sie bei einer Führung die vielen Arbeiterinnen in der Werkhalle gesehen hatte. Kreuzberg schuf daraufhin ein Gipsmodell mit drei verschiedenen Frauentypen: Eine mutig Voranschreitende, eine Zögerliche und eine in sich versunkene Träumende. (7) Der Betriebsmeister lehnte Kreuzbergs feministische Sicht auf die Arbeitssituation ab und der Künstlerin wurde der Auftrag entzogen. Durch den Kunstfonds der DDR konnte Kreuzberg jedoch ihre »Drei Frauen« 1981 in Bronze gießen lassen. Da es im Bezirk Pankow kaum noch Platz für Skulpturen gab, lagerten die drei Frauenfiguren bis 1993 im Grünflächenamt Pankow. 1993 wurden sie vom Grünflächenamt auf einer Grünfläche am Elizabethweg Ecke Ossietzkystraße (jetziger Standort) unweit des Schlossparks platziert. Jede Figur steht dabei auf einer eigenen, flachen Plinthe. Kurz nach der Aufstellung der Skulpturengruppe verdrehten Unbekannte die Frauenfigur ›Voranschreitende‹ und rückten sie damit an die beiden anderen heran. Dadurch entstand eine bis heute andauernde kreisförmige Anordnung der Frauenfiguren und das Motiv der voranschreitenden, mutigen Frau wurde zum Verschwinden gebracht. Die Frage, wann Carin Kreuzbergs Skulpturengruppe »Drei Frauen« so zu sehen sein, wie die Künstlerin es konzipierte, ist auch eine feministischpolitische Frage zur Kunst im öffentlichen Raum.

1 Der Verband Bildender Künstler (VBK) wurde 1950 als Berufsorganisation der Bildenden Künstler gegründet. »Die Mitgliedschaft eröffnete den Zugang zum staatlichen Kunsthandel. Die Vergabe öffentlicher Aufträgen erfolgte nur an im Verband organiserte Künstler. Zum Zeitpunkt seiner Auflösung 1990 hatte der VBK ca. 6.000 Mitglieder.«, www.bildatlas-ddr-kunst.de/glossary/72, abgerufen am 20.11.2022.
2 Angelika Richter, »Das Gesetz der Szene. Genderkritik, Performance Art und zweite Öffentlichkeit in der späten DDR«, zitiert aus Fußnote 21, Bielefeld 2019, S. 42.
3 Sabina Grzimek (1942 geb. in Rom), in Berlin stehen u.a. die Skulptur »Mutter mit Kind« (1976-1981), die der Widerstandskämpferin Liselotte Herrmann 1909-1938 gewidmet ist, und der »Junge aus der Marienburgerstraße« (1968-1970).
4 Birgit Horota-Müller (1936 Frankfurt (Oder) – 2021 Berlin), deutsche Bildhauerin und Grafikerin. Eine Tierskulptur »Bär« (1966) steht auf dem Humanplatz an der Stahlheimerstraße.
5 Sabine Teubner-Mbaye (1953 geb.), lebt in Berlin, bildhauerische und installative Arbeiten und Grafiken, www.sabine-teubner-mbaye.de.
6 Carin Kreuzberg (1935 in Berlin geb.), lebt in Berlin, zahlreiche Skulpturen im öffentlichen Raum u.a. »Sitzendes Liebespaar«, (1976), Breite Straße; »Stehender Junge« (1985), Fröbelstraße; »Heinrich-Heine-Denkmal« (1990), Heinrich-Heine-Straße; »Denkmal für E.T.A. Hoffmann«
(1978-1979), ursprünglicher Standort Gendarmenmarkt, heute Innenhof der Staatsbibliothek Berlin.
7 Alle Angaben zu der Skulpturengruppe »Drei Frauen« stammen aus einem Interview mit Carin Kreuzberg und der Autorin vom 21.11.2022. Der Dokumentarfilm »Drei Frauen. Kreuzberg in Pankow« (2021) von Annika Lewandowski stellt Carin Kreuzberg als Künstlerin vor und schildert
zudem die Geschichte der Skulpturengruppe »Drei Frauen«. Der Film erhielt 2022 den ersten Preis des Film Festivals »Woman over 50«.

Die erste Abbildung zeigt „Drei Frauen“ von Carin Kreuzberg, © Birgit Szepanski
Das zweite Foto zeigt „Liegendes Paar“ von Sabrina Grzimek,© Birgit Szepanski
Das dritte Fot zeigt „Dichter und Mädchen“ von Sabine Teubner-Mbaye, © Birgit Szepanski

Dr. phil. in art. Birgit Szepanski
ist Künstlerin, Autorin und Dozentin und lebt in Berlin. Nach ihrem Kunststudium an der Kunstakademie Münster und
dem Masterstudium ›Kunst im Kontext‹ an der Universität der Künste Berlin promovierte sie an der Hochschule für
bildende Künste Hamburg zum Thema »Erzählte Stadt« (veröffentlicht im transcript Verlag). Birgit Szepanski hält
Gastvorlesungen und Vorträge zu ihren Forschungsthemen Erzählen in der bildenden Kunst und Stadtwahrnehmung.
Ihre künstlerischen Arbeiten, die sich mit Erinnern und Erzählen im dem urbanen Raum auseinandersetzen, zeigt sieregelmäßig in Ausstellungen.
www.birgitszepanski.de

Der WS wurde veranstaltet von der artothek berlin, November 2022

This is the story of a cult cocoa powder for French children. Created by Pierre-François Lardet in 1912, it was inspired by a Nicaraguan recipe mixing meso-american cocoa with banana -from South-East Asia- and sugar -whose mass consumption was only made possible through the implementation of the triangular trade and thus of slavery. But it is especially thanks to its advertising imagery that it became iconic: a Senegalese rifleman with caricatured racial features who speaks a kind of pidgin French. This geographical mess, this uprooting of ingredients, these cultural despoilings, and this racist mercantilization is called Banania; and Banania is a banal story of food and colonialism.  
   
„I will tear these Banania smiles off all the walls of France“. These words, written by Léopold Sédar Senghor in the opening poem of Hosties noires in 1948, show to what extent the image of this food product has left its mark. Representative of the colonial and racist spirit of the early twentieth century, it took French society a century to question it. But to understand how a Senegalese, an African, a black character, ended up illustrating a product of Latin American origin, Banania in particular and cocoa in general, it is necessary to go back into the history of colonization.

From a New World’s Drink… 
1492 – Christopher Columbus discovers the American continent and with it, a great number of food treasures that he brings back to the Spanish kingdom: potatoes, tomatoes, beans, corn, but also peanuts, chili, vanilla or cocoa.  First consumed only in liquid form, and reserved for the European nobility, it was combined with diverse spices and very bitter. It is the addition of sugar to cocoa, and the mass production of these two ingredients by slaves on the other side of the Atlantic, that will be the key to the success of what will become “chocolate”. From a delicate and elitist dish, it became a commodity to be sold in an emerging industrial society, thanks to the creation of advertising. And if in the 1900s, marketing consisted mainly of trading cards representing colonial products in a stereotypical and aesthetic way, it is with the emergence of brands that advertisers began to produce logos and more striking marketing campaigns. They were looking for individualized and easily recognizable characters to embody their product: whether in Europe or North America, the black body became a promotional object.

… To a Black Body Commodification 
„An object among other objects“. This is how Frantz Fanon, psychiatrist and philosopher from Martinique, described the use of the black body in consumerist society in 1952. His book Black Skin, White Masks refers specifically to the advertising figure of the Senegalese rifleman used to promote Banania cocoa powder. Created by Giacomo de Andreis in 1915, this character replaces the first attempts – a West Indian woman, then a white soldier – and embodies a new semantics: that of the „naive, funny, talkative“ African whose role is to sell an „exotic“ product to French children.

With the exception of Uncle Ben’s or Aunt Jemima, the black characters in the brands are anonymous, more often illustrated than photographed, and are used to sell anything and everything from oatmeal to sugar to cocoa. But above all, they appear as very stereotypical characters, speaking the language of the colonizer poorly, created to be mocked. In 1947, on the other side of the Channel, the English chocolate company Rowntree launched the character of Honeybunch, a little black girl whose English syntax was caricatured and influenced „by imperialism, minstrel shows and other African and African-American stereotypes,“ explains Emma Robertson in Chocolate, Women and Empire: A Social and Cultural History. This type of caricature was repeated throughout Europe along the twentieth century: on Italian nougatines, on Spanish Conguitos, on the packaging of German Sarotti chocolate, and on Banania cocoa powder.

In the second half of the twentieth century, the Negritude movement, the reappropriation of stereotypes by black intellectuals, and the rise of the respective internationalist movements contributed to problematizing the notion of the superior white settler and the devoted black individual. The Senegalese Rifleman, whose features have become increasingly symbolic over time and as society has evolved, has definitely lost his caricatural and racist slogan in 2011. His image, however, remains iconic: posters and other vintage items continue to be sold until today .

(1) Les “Tirailleurs Sénégalais” were a corps of colonial infantry in the French Army. 

Leïla Boutaam: „Arts Exhibitions can be an efficient tool to make people interact with Food, and see Food from a completely new angle, in a revolutionary context“. Leïla Boutaam, born in France, is a food-Ethnologist.
www.leilaboutaam.net

Bananien. Möchten Sie noch eine Tasse Kolonisierung? Leïla Boutaam

Dies ist die Geschichte eines Kult-Kakaopulvers für französische Kinder. Es wurde 1912 von Pierre-François Lardet kreiert und ist von einem nicaraguanischen Rezept inspiriert, das mesoamerikanischen Kakao mit Bananen aus Südostasien und Zucker mischt. Sein Massenkonsum wurde erst durch den Dreieckshandel und die Sklaverei möglich. Vor allem durch seine Werbebilder wurde es zur Ikone: ein senegalesischer Schütze mit karikierten rassistischen Zügen, der eine Art Pidgin-Französisch spricht. Dieses geographische Durcheinander, diese Entwurzelung von Zutaten, diese kulturelle Plünderung und diese rassistische Merkantilisierung wird Bananie genannt; und Banania ist eine banale Geschichte von Essen und Kolonialismus.  

„Ich werde dieses Bananenlächeln von allen Mauern Frankreichs reißen.“ Diese Worte, die Léopold Sédar Senghor 1948 im Eröffnungsgedicht von Hosties noires schrieb, zeigen, wie sehr das Image dieses Lebensmittels seine Spuren hinterlassen hat. Stellvertretend für den kolonialen und rassistischen Geist des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, brauchte die französische Gesellschaft ein Jahrhundert, um ihn in Frage zu stellen. Aber um zu verstehen, wie ein Senegalese, ein Afrikaner, ein schwarzer Charakter ein Produkt lateinamerikanischen Ursprungs illustrierte, Bananien im Besonderen und Kakao im Allgemeinen, ist es notwendig, in die Geschichte der Kolonisation zurückzugehen.

Von einem Getränk aus der neuen Welt… 
1492 – Christoph Kolumbus entdeckt den amerikanischen Kontinent und mit ihm eine große Anzahl von Lebensmittelschätzen, die er in das spanische Königreich zurückbringt: Kartoffeln, Tomaten, Bohnen, Mais, aber auch Erdnüsse, Chili, Vanille oder Kakao.  Zunächst nur in flüssiger Form konsumiert und dem europäischen Adel vorbehalten, wurde es Letzerer mit verschiedenen Gewürzen kombiniert und schmeckte zunächst sehr bitter.

Die Zugabe von Zucker zu Kakao und die Massenproduktion dieser beiden Zutaten durch Sklaven auf der anderen Seite des Atlantiks bildeten den Schlüssel zum Erfolg und das, aus dem „Schokolade“ werden würde. Von einem delikaten und elitären Gericht wurde es aufgrund der Erfindung der Werbung zu einer Ware, die in einer aufstrebenden Industriegesellschaft verkauft wurde. Und wenn das Marketing in den 1900er Jahren hauptsächlich aus Sammelkarten bestand, die koloniale Produkte stereotyp und ästhetisch darstellten, begannen Werbetreibende mit dem Aufkommen von Marken, Logos und auffälligere Marketingkampagnen zu produzieren. Sie suchten nach individualisierten und leicht erkennbaren Charakteren, um ihr Produkt zu verkörpern: Ob in Europa oder Nordamerika, der schwarze Körper wurde zum Werbeobjekt.

Zu einer Kommodifizierung des Schwarzen Körpers 
„Ein Objekt unter anderen Objekten“. So beschrieb Frantz Fanon, Psychiater und Philosoph aus Martinique, 1952 die Verwendung des schwarzen Körpers in der Konsumgesellschaft. Sein Buch „Black Skin, White Masks“ bezieht sich speziell auf die Werbefigur des senegalesischen Schützen, mit der Banania Kakaopulver beworben wurde. Diese 1915 von Giacomo de Andreis geschaffene Figur ersetzt die deren Vorgänger:innen – eine westindische Frau, dann eine weiße Soldatin darzustellen – und verkörpert eine neue Semantik: die des „naiven, lustigen, gesprächigen“ Afrikaners, dessen Rolle es ist, ein „exotisches“ Produkt an französische Kinder zu verkaufen.

Mit Ausnahme von Onkel Bens oder Tante Jemima sind die schwarzen Charaktere in den Marken anonym, häufiger illustriert als fotografiert und werden verwendet, um alles von Haferflocken über Zucker bis hin zu Kakao zu verkaufen. Aber vor allem erscheinen sie als sehr stereotype Charaktere, die die Sprache des Kolonisators schlecht sprechen, also wie geschaffen, um verspottet zu werden. 1947 lancierte die englische Schokoladenfirma Rowntree auf der anderen Seite des Ärmelkanals die Figur von Honeybunch, einem kleinen schwarzen Mädchen, dessen englische Syntax karikiert und „von Imperialismus, Minstrel-Shows und anderen afrikanischen und afroamerikanischen Stereotypen“ beeinflusst wurde, erklärt Emma Robertson in Chocolate, Women and Empire: Eine Sozial- und Kulturgeschichte. Diese Art von Karikatur wurde im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts in ganz Europa wiederholt: auf italienischen Nougatinen, auf spanischen Conguitos, auf der Verpackung deutscher Sarotti-Schokolade und auf Bananenkakaopulver.

In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts trugen besonders die Negritude-Bewegung dazu bei, die Vorstellung des überlegenen weißen Siedlers und des hingebungsvollen schwarzen Individuums zu problematisieren. Der senegalesische Schütze, dessen Gesichtszüge im Laufe der Zeit und mit der Entwicklung der Gesellschaft immer symbolischer geworden sind, hat 2011 definitiv seinen karikaturistischen und rassistischen Slogan verloren. Sein Image bleibt jedoch ikonisch: Poster und andere Vintage-Artikel werden bis heute mit ihm verkauft.

(1) Les „Tirailleurs Sénégalais“ waren ein Korps kolonialer Infanterie in der französischen Armee. 

Leïla Boutaam: „Kunstausstellungen können ein effizientes Mittel sein, um Menschen dazu zu bringen, mit Nahrungsmitteln/ Essen zu interagieren und diese aus einem völlig neuen Blickwinkel in einem revolutionären Kontext zu sehen.“ Leila Boutaam, geboren in Frankreich, ist Ernährungsethnologin.
www.leilaboutaam.net

Die meisten Kunstinteressierten werden vom Aufstieg der modernen Kunst als der sogenannten „Schule von Paris“ am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts eine eher romantische Vorstellung haben. Hier denkt man etwa an Chagalls Gemälde „Paris durch das Fenster“ von 1913 oder an seine Darstellungen von sich selbst und seiner ersten Frau Bella, eng umschlungen, schwebend über der Seine. Oder an die Geschichten über Amadeo Modigliani und seine Freunde auf schier endlosen Streifzügen durch die Bars des Montparnasse, zu denen er, der seit seiner Jugend an Tuberkulose litt, trotz künstlerischer Arbeit und zahlloser Liebschaften tatsächlich noch die Kraft fand (zumindest bis zu seinem sechsunddreißigsten Lebensjahr). So kann die Verklärung, welche jene Epoche in Paris durch das Kunstpublikum erfahren hat, kaum verwundern. Denn wilde Künstlerleben in unruhigen Zeiten, eine Unzahl von biografischen Anekdoten und schnelle, heftige Umbrüche in den Kunststilen jener Epoche, verbunden mit dem Auf- und Abstieg nicht nur von Künstlern sondern auch von Galeristen und Sammlern, das sind die Zutaten, welche das vorherrschende, ohnehin eher biografisch-anekdotische Kunstverständnis braucht, um seine Mythen zu begründen und die Museumsshops zu bestücken.

Der amerikanische Journalist und Publizist Stanley Meisler geht in seinem hervorragenden Buch „Shocking Paris. Soutine, Chagall and the outsiders of Montparnasse“ (New York City, 2015) keinen grundsätzlich anderen Weg. Wenngleich er also den Lebensspuren einiger der Künstler jener Zeit folgt, so führt er diese Darstellung jedoch eher skizzenhaft aus. Das fällt ihm umso leichter, als es über seinen Protagonisten, den Maler Chaim Soutine, ohnehin nur recht wenig Biografisches zu berichten gibt und dieses Wenige in den Jahrzehnten nach dessen Tod längst ausgebreitet wurde. An den überlieferten Lebensfakten dieses Künstlers entlang aber findet Stanley Meisler auf elegante Weise zu seinem eigentlichen, allgemeineren und auch heute noch aktuellen Thema: Die „Schule von Paris“ nicht nur als ein Brennpunkt der frühen Moderne, sondern auch als Objekt von Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus.

Alles beginnt in der La Ruche, Bienenkorb, genannten Künstlerkolonie im 15. Arrondissement von Paris. Diese Einrichtung, im Grunde ein frühes soziales Projekt für mittellose Künstler, bot kleine, aber durch viele Fenster recht gut beleuchtete Ateliers, was baulich ermöglicht wurde durch ihre charakteristische vieleckige Form. Es scheint fast wie ein Omen, dass dieses Gebäude errichtet wurde aus den Überbleibseln der Pariser Weltausstellung von 1900, eines Spektakels also, welches die Größe und Fortschrittlichkeit Frankreichs demonstrieren sollte. Früh im zwanzigsten Jahrhundert sammelten sich genau dort Künstler aus vieler Herren Länder, eine besondere Gruppe aber stellten die dem krisengeschüttelten Russischen Reich entronnenen oder aus anderen Teilen Europas zugewanderten Juden dar. Besonders deshalb, weil viele von jenen, die dort lebten oder ein- und ausgingen, es in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg fertigbrachten, sich im Pariser Kunstbetrieb zu etablieren. Pinchus Krémègne, Jacques Lipchitz, Moïse Kisling, Ossip Zadkine, Morice Lipsi, Michel Kikoïne, um nur einige zu nennen, erlangten Anerkennung, und einige Bekanntheit, Modigliani, Chagall und Soutine kamen zu Weltruhm.

So weit, so gut und erfreulich, könnte man sagen, hätte sich dieser Aufstieg nicht vor den Augen einer seit der Dreyfus-Affäre zunächst zurückhaltenden, in den Jahren zwischen den Weltkriegen aber immer vernehmlicher sich äußernden, nationalistisch-konservativen Öffentlichkeit vollzogen. Zunächst ging es in Feuilletons und Büchern um die Frage, wie es denn möglich sein kann, dass die große, einzigartige französische Kunsttradition, welche im neunzehnten Jahrhundert im Impressionismus gipfelte, nun beerbt wurde von mittellosen Herumtreibern, Landstreichern und Säufern, die von sonstwoher nach Paris strömten, tief hinein in jene reine, schützenswerte französische Kulturblüte, welche sie nicht nur beschmutzten, sondern ganz sicher verdorren lassen würden. Es dauerte jedoch nicht lange, bis die Tatsache, dass es sich bei vielen dieser „Landstreicher“ um Juden handelte, mehr Raum gewann. Die Frage wurde erörtert, wie ein Salon französische Kunst in Zukunft auszustellen in der Lage sein soll, wenn ein großer Teil der gezeigten Werke von gerade erst nach Frankreich eingewanderten Migranten stammte, die zudem in nicht geringer Zahl auch noch Juden waren.

Man kann sich leicht vorstellen, wie unaufhaltsam dieser Polemik die Zerstörung der „Schule von Paris“ in der Realität folgte, als die Deutschen Frankreich besetzten. Zwar gelang es einigen der Künstler im für einige Zeit noch unbesetzten Vichy-Frankreich unterzutauchen, für jene allerdings, die in Paris blieben, bedeutete die Zeit der Besatzung ein Leben in ständiger Angst.
Nach der Befreiung Frankreichs war die „Schule von Paris“ Geschichte. Paris verlor in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Rang als Welthauptstadt der Kunst an New York und neue Generationen von Künstlerinnen und Künstlern nahmen die Arbeit auf.

Es scheint wie eine Ironie der Geschichte, dass ein paar ausgerechnet jener Künstler, welche, wie ein Kritiker damals schrieb, für eine „Atmosphäre von Rechtschaffenheit und Eleganz“ standen, die nach der Vertreibung der Juden und sonstiger Ausländer in die französischen Salons eingekehrt war, während der Besatzungszeit zu einer Art Kulturreise nach Nazideutschland eingeladen wurden, gut versorgt und inklusive Besuchen in den Ateliers von Albert Speer und Arno Breker. André Derain, Maurice de Vlaminck und Paul Belmondo (Bildhauer und der Vater des Schauspielers), welche diese Reise 1941 unternahmen, fügten der, wenn es so etwas gibt, Größe Frankreichs rückblickend weitaus mehr Schaden zu als das bunte Völkchen aus dem Bienenkorb.

© Sherko Fatah

Sherko Fatah ist Schriftsteller, und studierte Kunstgeschichte und Philosophie. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Großen Kunstpreis Berlin und den Adelbert-von-Chamisso-Preis.

Wenn man mich fragt, wer ich sei, dann beginne ich meine Vorstellung gerne mit der Bezeichnung Wirtschaftsmigrantin aus dem Prenzlauer Berg. Ich liebe mein neues Leben hier „unten“ in Köpenick. Seit meinem Umzug 2018, haben ganz andere Dinge mein Leben bereichert (natürlich hatte ich nach 21 Jahren im Prenzlauer Berg als Wessi-Weißensee-Absolventin einiges an Ängsten beim Umzug hierher). Mit der Migration meiner Kleinfamilie nach Treptow-Köpenick, bin ich in erster Linie bloß der – je nach Sichtweise: mutigen oder verzweifelten – Vorhut von Kolleg:innen hinterher gezogen, die bereits in der (ich nenne es jetzt mal: ersten) Verdrängungswelle von Arbeitsräumen hier Ateliers und teilweise Wohnraum gefunden haben.

Wenig überraschend war ich demnach nicht die erste, die die Vorzüge eines viel entspannteren grüneren und luftigeren Lebens und Arbeitens hier schätzen gelernt hat. Die Investor:innen haben das schon vor gut 10 (ach was: 20!) Jahren bemerkt und kauften im großen Stil hier Industriebrachen auf. Prima Steuersparmodelle. Die sollen nun entwickelt werden. Und jetzt sind hier hunderte von Ateliers, wenn nicht sogar akut, so doch mittelfristig bedroht.

Das Glück hier in Treptow-Köpenick ist, dass ich schnell sowohl alteingesessene „Ost“-Kolleg:innen als auch jüngere Künstler:innen kennengelernt habe, und dass wir uns unfassbarer Weise tatsächlich vernetzt haben. Es hat sich ein Netzwerk Ateliergemeinschaften Treptow-Köpenick (NWAGTK) gegründet, wir haben Workshops mit Politiker:innen und Mitarbeiter:innen der verschiedenen Verwaltungen (Kultur, Stadtentwicklung, Wirtschaftsförderung, Bau…) veranstaltet und sind wild entschlossen das Terrain nicht aufzugeben.

Und so möchte ich euch Kolleg:innen da oben „in der Stadt“ (wie man hier manchmal aus Versehen sagt) zurufen: wir erreichen nur etwas, wenn wir uns alle zusammentun! Wir können uns zwar immer auf die Schultern klopfen, wenn einzelne und akut bedrohte Ateliergemeinschaften sich zusammenraufen und den Aufstand proben, Aktionen starten, die Politik in die Pflicht nehmen und manchmal damit durchaus erfolgreich sind. Aber wenn immer nur Feuerwehr gespielt wird, um bestenfalls einzelne Standorte zu sichern, dann ist das in etwa so, als wenn – um beim traurigen Bild zu bleiben – einzelne Brandherde gelegentlich gelöscht werden, aber die strukturellen Herausforderungen für großflächige Brände immer die gleichen bleiben, und schlimmstenfalls Politiker:innen und Verwaltungen das Gefühl haben, ja bereits alles zu tun und/oder Investor:innen sich mit ihren kulturell aufgewerteten Immobilien noch mehr Mieteinnahmen ausrechnen.

Leute! Wir müssen uns alle in allen Bezirken zusammentun! Wir müssen uns vernetzen! Wir müssen uns für nachhaltigere Strukturen einsetzen. Wir müssen tatsächlich auch vermitteln, was wir mit unseren Arbeitsplätzen in den Kiezen für zivilgesellschaftlichen Zusammenhalt leisten und wie wir diese bereichern! Wir müssen erklären, dass die niedrigschwelligen kulturellen Angebote im Umland bald attraktiver als die in Berlin sind, dass Offene Ateliers in einigen Jahren vermutlich nur noch in Frankfurt/Oder, Wriezen, Forst oder Baruth stattfinden. Weil einfach niemand von uns mehr hier sein kann. Und die, die es sind, soviel „anschaffen“ gehen müssen, damit sie ihre Ateliers halten können, dass sie kaum noch zu ihrer Arbeit, ganz zu schweigen von weiterem Engagement, kommen.

Das Atelierförderprogramm kann nur ein Teil der strukturellen Förderung sein. Wir brauchen jetzt wirklich einen Neustart. Und den können wir nur selber herbeiführen. Wir sind ein echter Wirtschaftsfaktor (und dabei meine ich nicht den ersten und den zweiten Kunstmarkt, auf dem die Inverstor:innen, die uns durch die Wertsteigerung ihrer Immobilienportfolios vor sich herjagen, um dann Teile ihrer Gewinne in Kunst zu INVESTIEREN). Wir schaffen ganz andere Mehrwerte. Und die müssen wir verteidigen. Ich wünsche uns allen, dass wir begreifen, was nicht nur für uns und unsere Stadt, sondern auch für die Stadtgesellschaft auf dem Spiel steht. Und dass wir die Initiative ergreifen – mit einander und füreinander.

Wenn wir hier in Treptow-Köpenick so weiter machen, dann werdet ihr bald von uns hören und dann solltet ihr dabei sein und eure Bezirkspolitiker:innen mitnehmen, wenn wir dann alle gemeinsam mit dem Senat und ja: mit Investor:innen neue Wege finden.

Jep! So wird es werden!

Grüße aus Köpenick!

Foto: Veronika Wagner, 2021 Workshop Salon #4 Raumverstehen mit KIM, NWAGTK und Politiker:innen und Verwaltungsmitarbeiter:innen aus Bezirk und Land, BBK u.v.m. in den Treptow-Ateliers

Mehr Informationen: post (at) stefka-ammon.de

Erfolgsgeschichte einer Selbstorganisation / Ein Essay von Dan Dansen

Anträge schreiben, Emails checken und beantworten, netzwerken, Bewerbungen schreiben, Projekte koordinieren, Ausstellungen und Screenings organisieren, Werbung schreiben und versenden, Freund:innen fragen, ob sie mich unbezahlt beim Aufbau unterstützen, Filme bei Festivals einreichen und dafür im Regelfall auch noch Geld bezahlen. Ach ja, und dann mache ich nebenbei auch noch Kunst. So in etwa müsste die eigentliche Arbeitsbeschreibung von Künstler:innen lauten. Ob ich mich mit diesem Wissen auf den Job beworben hätte? Keine Ahnung, vielleicht hätte ich es trotzdem gemacht. Wegen der Leidenschaft und so.
Dass mein Arbeitsalltag gefühlt aus 80% Bürokratie besteht, war nicht Teil meiner Vorstellung des romantischen Künstlerinnen-Daseins. Der neoliberale Kapitalismus zwingt uns dazu, zu Unternehmerinnen unserer Selbst zu werden und das geht auf Kosten der Qualität der künstlerischen Arbeit. Kunst mache ich gefühlt und real an Weihnachten, Ostern, anderen Feiertagen oder in meiner Freizeit. Von der Kunst leben können nicht viele Künstler:innen, und die, die es können, leben eher prekär.

Als freischaffender Künstler ist es für mich deshalb zentral, gut vernetzt zu sein. 2021 wurde ich durch dieses Netzwerk eingeladen, bei der Ausstellung ‚Walking Through the Woods‘ auszustellen, organisiert vom Verein Atelierhaus Australische Botschaft (Ost). In dieser Ausstellung wurde ich Teil eines großen Netzwerks von Künstler:innen und Kurator:innen, die eine selbstorganisierte Ausstellung auf die Beine gestellt hatten, die erfolgreich und mit großem Publikumsanklang durchgeführt wurde. Im Kontakt mit den Organisator*innen kam für mich die ernüchternde Erkenntnis: Auch der Alltag von Kurator:innen der Freien Szene bewegt sich gefühlt weniger um den Inhalt der Kunst sondern mehr um die Bürokratie, die den Inhalt finanziell ermöglichen soll.
Eigentlich war das keine neue Erkenntnis, aber desillusionierend war es doch. Es schreibt sich fort, was im Alltag der Künstler:innen real ist: Nur jahrelanges unentgeltliches Engagement und der Zusammenhalt der Künstler:innen-Community haben dafür gesorgt, dass diese Ausstellung entstehen konnte. Und das, obwohl die Ausstellung ‚Walking Through The Woods‘ (21. – 31.10.2021) sogar recht gut aufgestellt war, was Förderung angeht, so dass ein kleines Honorar für die beteiligten Künstler:innen, sowie einiges an Materialkosten und Reisekosten gedeckt werden konnte. Dennoch musste noch viel unbezahlte Arbeit in das Projekt fließen, so dass es verwirklicht werden konnte.
So kommt in mir manchmal die Frage auf: Können eigentlich nur Kinder reicher Eltern Kunst machen? Und was ist mit denen, die nicht über privilegierte Voraussetzungen verfügen? Oder mit denen, die nicht so hart im Nehmen sind, dass sie ein Entlangschrammen am Burn-Out zwischen ehrenamtlicher Arbeit und Job mal eben wegstecken können?

Gegen die Prekarität hilft nur Vernetzung: Gleichgesinnte finden und gemeinsam Dinge zu stemmen. In die Ausstellung ‚Walking Through the Woods‘ wie auch in das Nachfolgeprojekt ‚Sounds of Water‘ sind viel Herzblut und vor allem unbezahlte Arbeit geflossen. In durchgearbeiteten Nächten, in der Freizeit neben den Brotjobs und natürlich an Wochenenden. Anträge wurden geschrieben und auf Bezirks-, Landes- und Bundesebene, bei Stiftungen und privaten Förderanstalten eingereicht. Im Kontakt mit den Kuratorinnen lerne ich: Wie in der Kunstproduktion besteht das Kurator:innen-Dasein auch darin, sich nicht von Ablehnungen entmutigen zu lassen und trotzdem weiterzumachen. Und: Hartnäckigkeit und Geduld sind die Tugenden der Stunde. Das Anträge schreiben für ‚Sounds of Water‘ hat dazu geführt, dass es ein kleines Budget durch private Stiftungen gab, so dass immerhin die Miete und die anderen unumgänglichen Kosten gedeckt waren. Sonst wäre die Realität gewesen: Dafür bezahlen, eine Ausstellung zu organisieren. Denn Eintritt zur Ausstellung ist auf Spendenbasis, um einen freien Zugang für alle zu Kunst zu ermöglichen. Eine Selbstverständlichkeit hinter die die Organisator:innen auch im Angesicht der kaum bezahlten Arbeit nicht zurücktreten wollen.

‚Sounds of Water‘ – Ein interdisziplinäres Kunstfestival
Leises Wassertropfen, Meeresrauschen, Walgesänge – ‚Sounds of Water‘ ist ein Kunstfestival, das dazu einlädt in die Welt rund um das Thema Wasser einzutauchen. Raumgreifende Installationen, Bilder, Objekte, Video- und Soundart bilden den Rahmen und die Klangkulisse des interdisziplinären Festivals. Die Ausstellung wird von einem facettenreichen Festivalprogramm mit Performances, Lesungen, Konzerten, Meditation, Wutao (Bewegungskunst) u.v.m. begleitet. Sogar ein Pool ist Teil der Ausstellung, in dem Workshops zu Aguahara (aquatischer Körperarbeit) stattfinden.

‚Sounds of Water‘ ist das Folgeprojekt von ‚Walking Through The Woods‘ – das 2021 mit großem Publikumserfolg zum Thema Wald in den Kulturkapellen in Berlin-Mitte stattfand. In Zeiten akuter Klimakrise ist es uns mit diesen Projekten ein Anliegen, mithilfe der Kunst für Naturelemente und einen ressourcenschonenden Umgang mit unserer Umwelt zu sensibilisieren.

Organisiert wird das Kunstfestival von der Ateliergemeinschaft Australische Botschaft (Ost) im Kleinen Wasserspeicher, nahe des Wasserturms in Prenzlauer Berg. Die Ausstellung findet vom 19. bis 28. August 2022 statt und ist täglich von 15 bis 20 Uhr geöffnet.

‚Sounds of Water‘ wird realisiert in Kooperation mit der ForumFactory und artspring berlin.
Eine Ausstellung von Roger Alsop, Mona Babl, Sabine J. Bieli, Dan Dansen, Marion Ehrsam, Hans Fromm, Chrysanthi Goula, Adrian Gutzelnig, Bettina Hindes, Anh-Maka, Julia Marié, Anja Matzke, Sandy La S. Schwermer, Alexander Siebenstern und Jolanda Todt. Mit weiteren Beiträgen von Julia Bauer, Nana Ehrsam, Andreas Levisianos und Dimitra Kandia, Melaine MacDonald, Alexander Nieswand und Iljà Pletner, Santrra Oxyd, Alexander Seeger, Lea Schmidt, Madlen Stange und Steffi Weismann. Kuratiert von Simona Doletzki und Marion Ehrsam

Mehr Informationen zur Ausstellung: Sounds of Water 2022

Ich besitze ein Buch, das ich nur wegen seines Klappentextes kaufte: „Wenn zwei Künstler miteinander reden, dann sprechen sie über Geld. Wenn zwei Banker miteinander reden, dann sprechen sie über Kunst.“ (1) So ist es, so war es und so wird es immer sein!? Nun, aus meiner heutigen Sicht würde ich sagen: Jein – denn schließlich schreibe ich ja diesen Text, den Sie jetzt lesen. Eine Bewegung ist also drin, wir reden drüber – und das nicht nur hinter vorgehaltener Hand, sondern laut und deutlich (2): SO leben Künstler:innen in Deutschland! 1/3 von ihnen (2019 > 123.000) (3) von 1100 € netto im Monat! 3/4 der Renter:innen von < 1000€/Monat !(4)

Der arme Poet ist nicht chic, sondern ein Armutszeugnis! Künstler:innen sind meist überdurchschnittlich hoch gebildet (ca. 60% besitzen einen Hochschulabschluss), studieren aber mit dem Wissen, dass sie voraussichtlich nicht von ihrem Beruf leben werden können. Also was tun mit den Fähigkeiten und Fertigkeiten, die man im Kunststudium erlernt? Wer Glück hat, kann diese für die handvoll erfolgreicher Kolleg:innen einsetzen, die zum einstelligen Prozentwert der Player des Kunstmarkts gehören und eigene große Studios à la Andy Warhols Factory besitzen. Aber auch diese Stellen gibt es nicht wie Sand am Meer – viele Künstler:innen trifft man daher, wenn sie nicht „aufstockende Hartzer:innen“ sind, im Bereich der Lehre oder in Stellen, die ihnen ein gewisses Maß an Absicherung und gleichzeitig Freiheit gewähren, um selbst weiter künstlerisch tätig zu sein.

Die Entscheidung, die künstlerische Selbstständigkeit zu behalten, wird einem nicht leicht gemacht: Will man bspw. in der KSK bleiben und auch den Anspruch auf ein gefördertes Atelier des BBK nicht verlieren (5), muss man Einkommensgrenzen nach unten und oben beachten. (6) Nun braucht man aber ein gewisses Budget, um neue Arbeiten zu schaffen, mit denen man sich auf Förderungen und Ausstellungen bewirbt, damit diese dort gezeigt und bestenfalls verkauft werden können, damit man in der KSK bleiben kann! Eine Krux und ein ständiges Austarieren zwischen Wollen, Sollen und Müssen also in einem Finanzkreislauf, der sich in jeden künstlerischen Arbeitsbereich auszudehnen scheint. Und geradedeshalbtrotzdem machen Künstler:innen vieles, wenn nicht alles, selber – der Begriff „eierlegende Wollmilchsau“ wurde quasi von uns erfunden (was bei der Visualisierung dessen auch klar werden dürfte). Aber zurück zum Mythos, den Künstler:innen mit isländischen Feen gemein haben – nur dass es erstere wirklich gibt, aber sie sich eher mit Hausschwund rumschlagen – im Gegensatz zu den isländischen Feen, denen extra Hüttchen gebaut werden:

Ich glaube, im Laufe dieses Textes ist bereits klar geworden, warum auch die Autoren des anfangs genannten Buches nur ein Pamphlet über Kunst und Geld schreiben konnten: Wenn die eigene prekäre Arbeits- und Lebensrealität zu einer Sparte gehört, die sich als Blase unabhängig und gefühlt antiproportional zur restlichen Weltwirtschaft entwickelt, dann braucht man viel Humor und etwas Biss(igkeit). Ja, Künstler:innen arbeiten viel und hart, unterbezahlt und anders als andere und ja, einige Künstler:innen profitieren vom bezahlbaren Können und der Flexibilität der Kolleg:innen. Das ist kein Mythos. Der Mythos, den es hier aufzulösen gilt, ist eher ein Ethos, eine Gewohnheit, die sich über Jahrhunderte eingeschlichen hat und manifestiert hat: Die „eierlegende Wollmilchsau“ Kunst will biologisch nachhaltig gehalten werden, bevor sie alt und wund wird! So.

Und nun nochmal zur Lebensrealität von jemandem, die solche Texte schreibt – meiner: Als ich mit diesem hier begann, hatte ich gerade meine Studierenden (Kunsthochschule Professionalisierungsbereich) in den Feierabend entlassen – wie immer schnapsfertig geplättet von der harten Realität des Kunstmarkts, der auf sie wartet und um den es in meinem Kurs geht.
Diese letzten Sätze schreibe ich gerade im Zug zurück von einem eintägigen Aufenthalt bei Stuttgart, den ich aufgrund eines neuen Projekts meines anderen Brotjobchefs, seines Zeichens einer der Top 10 Künstler global, unternommen habe. (7) Seit Frankfurt sitzt neben mir ein müder Banker. Ich habe seit gestern 12h gearbeitet, 6h geschlafen und bin 10h Zug gefahren – 4 mehr to go. Seit 30 min stehen wir – Weichenstörung. Es ist 18:21. Aber: Morgen tue ich was für mich: Ich hab Aufsicht in der Ausstellung, in der ich gerade ausstelle. Vielleicht kommt jemand, der über Geld reden will – mal sehen.

(1) Metz, Markus und Georg Seeßlen: Geld frisst Kunst – Kunst frisst Geld: Ein Pamphlet, 2. Auflage, Berlin 2015.
(2) und auch dank einiger toller und reger Organisationen wie bspw. den BBK-Verbänden
(3) Erhebung Statistisches Bundesamt
(4) BBK (Hg.): Von der Kunst zu leben, Berlin 2020, S. 54.
(5) Auch hier ein hart umkämpfter Markt bspw. in Berlin: 900 geförderte Ateliers, aber ca. 13513 / 19700 (Zahlen von KSK, 2020/Destatis, 2019) Bildene Künstler:innen KSK, 2020/Destatis, 2019) Bildene Künstler:innen
(6) KSK: min. 3900 €/Jahr aus selbstständiger künstlerischer Tätigkeit, max. 450 €/Monat Zuverdienst durch nichtkünstlerische Arbeit
BBK: jede Person im Haushalt wird mitgerechnet – bspw. Paar (auch unverheiratet o. WG) max. 45.890 €/Jahr (höhere Mietpreisgruppe B)

(7) Seit 2017 arbeite ich selbstständig und projektbasiert für ihn, Bereich Development & Production, d.h., ich baue in einer der Werkstätten einen Teil seiner künstlerischen Arbeiten. Viel Handwerk – Metall, Glas, Holz – aber auch Packen und Reparatur. Wieso ich da arbeite? Nun ja, neben dem schnöden Mammon und der Flexibilität hauptsächlich wegen der Kolleg:innen und des familiären Arbeitsklimas (- nicht zu vergessen das hervorragende Essen). Sonst ist die Arbeit wie Schwimmen: verlernt man nicht, obwohl es nicht viel mit der sonstigen Fortbewegung zu tun hat.

Franziska Harnisch (*1986, Berlin) lebt und arbeitet gern als Künstlerin. Ihre künstlerische Praxis umfasst die Bereiche und Schnittstellen der künstlerischen Forschung im Bereich Digitale Medien und Performance, aber auch kuratorischer Techniken wie der des Open Calls. Seit 2009 wurden ihre Arbeiten in einer Vielzahl von Kunstvereinen, Projekträumen und dem öffentlichen Raum gezeigt. Harnisch erhielt unter anderem den EUCIDA Travel Award, ein Stipendium des Künstlerdorfs Schöppingen sowie ein Stipendium Q21 Artist in Residence bei paraflows. Sie betrieb mehrere Projekträume (KUNSTRAUM 53, Vitrine 01) und leitet seit 2020 den raum on demand in der Alten Münze Berlin. Harnisch ist Mitglied im BBK Berlin, im medienkunst e.V., beim Netzwerk freier Berliner Projekträume und -initiativen sowie bei der VG Bild-Kunst.

www.franziskaharnisch.de / Instagram: franziska.harnisch

Welche Kunstwerke der zeitgenössischen Kunst und der Kunst des 20. Jahrhunderts sind in Pankower Archiven, Sammlungen und Nachlässen zu sehen? Welche Künstler*innen prägten das kulturelle Leben in Pankow und lassen sich heute wiederentdecken?

Der zeitgenössische Maler Michel Majerus (1) lebte und arbeitete in Prenzlauer Berg. Bekannt wurde Majerus in den 1990er Jahren durch raumgreifende, malerische Installationen und Gemälde, in denen er Bildzitate aus Kunstgeschichte, Pop-Kultur, Computerspiele und Konsumwelt zu neuen vielschichtigen Bildtableaus zusammenfügte und mit Textfragmenten und Slogans kombinierte. Im Kölnischen Kunstverein installierte der Künstler beispielsweise ein über 400 qm großes Bild »if we are dead, so it is« (2000) als eine raumfüllende Half-Pipe, die dann auch von Skatern befahren wurde. Bei einem Flugzeugunglück 2002 kam Michel Majerus ums Leben. Sein Atelier in Prenzlauer Berg, in einem ruhigen Hinterhof in der Knaackstraße gelegen, wurde 2012 zum Ausstellungsraum ›Michel Majerus Estate‹: Die einmal im Jahr wechselnden Ausstellungen werden von Kuratorinnen und Künstlerinnen konzipiert. Dabei liegt ein Fokus auf Vernetzungen zwischen Majerus’ Werk und anderen Künstlerinnen wie beispielsweise Takashi Murakami, Thomas Bayrle und Laura Owens: Der genreübergreifende Diskurs, den Majerus in seinem Werk generierte, wird so in der Gegenwart weiter geknüpft. Das Michel Majerus Estate ist ein lebendiger Nachlass und ein Forschungslabor für Fragen und Gedanken zur zeitgenössischen Kunst und zu Bilderwelten des 21. Jahrhunderts. Besucherinnen können sich die aktuelle Ausstellung ansehen und mit einem vor Ort anwesendem Guide in einen Dialog kommen über Malerei, Medien und philosophische Themen, denen Michel Majerus insbesondere in seinen Notizen nachging.

Max Skladanowsky präsentiert sein Daumenkino, um 1900
Credit: Museum Pankow, Fotoarchiv

Das ebenfalls in der Nähe des Wasserturms gelegene Museum Pankow bewahrt in seinem Fotoarchiv verschiedene fotografische Materialien vom Anfang des 20. Jahrhundert. Neben einer Sammlung von Bildpostkarten aus den 1920er Jahren – ein Bild- und Kommunikationsmittel, auf dem vor allem aktuelle Ereignisse aus dem Stadtleben publiziert wurden – gibt es im Fotoarchiv eine digitalisierte Sammlung von über einhundert Glasnegativen des Berliner Filmpioniers Max Skladanowsky, der zusammen mit seinem Bruder 1895 den weltweit ersten Film, auf einem Dach in der Schönhauser Allee, drehte. (2) Neben Daumenkinos, Nebelbildern, fotografischen Bildern für Stereoskopie-Apparate und Experimenten mit Überblendungstechniken fotografierte Max Skladanowsky im dokumentarischen Stil den expandierenden Stadtteil Pankow während der 1910er Jahre. Es sind Einblicke in das bürgerliche Leben Pankows und in dessen langsame Urbanisierung: Menschen auf Rummelplätzen, bei feierlichen Umzügen und beim Schlittschuhlaufen, Geschäfts- und Wohnhäuser, Baustellenplakate und winterliche Stadtperipherien zeigen in ihrer Sachlichkeit eine noch wilhelminische Stadtatmosphäre, die durch die kommenden Veränderungen von Industrialisierung und Erstem Weltkrieg noch unbehelligt ist.

Die Kunstsammlung Pankow (3) gibt mit über 4.000 künstlerischen Arbeiten von über 600 Künstlerinnen die divergierende Kunstlandschaft des Bezirkes wider, in der verschiedene soziale, politische Lebensrealitäten der DDR, der Umbruchzeit des Mauerfalles der 1990er Jahre und der Gentrifizierungen nebeneinanderstehen und sich überlagern. Ein Schwerpunkt im Sammlungsbestand, der hauptsächlich aus Zeichnungen, Gouachen und Grafiken auf Papier besteht, bildet Kunst aus der DDR, wie beispielsweise die ›Berliner Schule‹ (4). Diese entzog sich in den 1960er Jahren der Kunst des sozialistischen Realismus und entwickelte eine eigene, an die Moderne Klassik angelehnte Bildsprache. Ausdrucksstark ist dabei beispielsweise die Malerei von Christa Böhme, deren warme, erdige Farbtöne Menschen und Dinge umhüllen. Oder die Druckgrafiken von Dieter Goltzsche, die eine lyrische zeichnerische Leichtigkeit besitzen. Auch Hans Vents ›farbige Blätter‹, die mit weichem, gestischem Duktus Farbatmosphären schaffen, haben eine überraschende Aktualität. Ebenso machen die grafischen Arbeiten der Malerin Charlotte E. Pauly und der zeichnerische Nachlass von Egmont Schaefer (beides Schenkungen) auf die heterogene Kunstsammlung Pankows neugierig, die auch einige der Originale der künstlerischen Währung ›Knochengeld‹(5) beherbergt. 1993 wurde im Prenzlauer Berg von internationalen Künstlerinnen wie beispielsweise Via Lewandowsky, Carsten Nicolai und Andrea Pichl eine künstlerische Währung als Entgegnung zur Einführung der D-Mark in Ostdeutschland in Umlauf gebracht. Am Fotokopierer hergestellte Papiervorlagen wurden individuell gestaltet, mit Zeichnungen versehen und koloriert. Die Idee des ›Knochengeldes‹ geht dabei auf den Philosophen Diogenes zurück, der vorschlug, Geld aus Knochen und nicht aus Metall herzustellen. Der Knochen als eine Metapher für Zerfall und Endlichkeit steht so jeglichem Gewinndenken entgegen.(6)

Archive und Sammlungen sind unvollständige Systeme. Die Galerie Pankow gab 2021 zwar einen Einblick in in Grafiken und Zeichnungen der Künstlerin und Aktivistin Bärbel Bohley (7) aus den 1990er Jahren, aber ihr künstlerischer Nachlass ist bis heute in keiner Kunstsammlung archiviert. In ihren Bildern stellte Bohley mit einer intensiven gestischen Lebendigkeit den menschlichen, meist weiblichen, Körper in seiner Verletzlichkeit dar. Bohleys humanistische Haltung bildete auch in ihrer Kunst einen Schwerpunkt – eine Position, die heute umso aktueller erscheint.

Foto: Bärbel Bohley in ihrem Atelier. Copyright by: Klaus Mehner

Das künstlerische Leben in Pankow ist historisch gesehen sehr lebendig. Käthe Kollwitz, die Namensgeberin für den Kollwitzplatz, die Ostberliner Kunstszene der 1980er Jahre und zahlreiche Künstlerinnen, die seit dem Mauerfall zuzogen, geben dem Bezirk mit seinen Sammlungen ein vielseitiges künstlerisches Profil.

Anmerkungen

(1) Michel Majerus, 1967 in Luxemburg geboren, studierte Kunst an der Staatlichen Akademie der Künste in Stuttgart bei K.R.H. Sonderborg und Joseph Kosuth. Von 1992 bis 2002 lebte er in Berlin-Pankow. Den Nachlass verwaltet die Galerie neugerriemschneider in Berlin. 2022 werden in einer bundesweiten Ausstellungsreihe an fünf Berliner Ausstellungsorten und in 13 Museen Michel Majerus’ Werk reflektiert und diskutiert. Das Michel Majerus Estate bildet in diesem Kollaborationsnetzwerk eine Station.

(2)Ab 1882 experimentierte Max Skladanowsky (1863-1939) mit seinem Bruder Emil mit bewegten Bildern. Der Film auf dem Dach der Schönhauser Allee 146 von 1895 lässt sich als der erste Filme bezeichnen, jedoch veröffentlichten die Brüder diese Bildsequenzen als Daumenkino. Erst einige Monate später, nach der Entwicklung ihres Projektionsapparates ›Bioskop‹, zeigten sie im Varieté des Wintergartens in Berlin-Charlottenburg Kurzfilme mit Unterhaltungskünstler*innen vor Publikum. Andere Filmpioniere wie die Brüder Lumière verfügten über technisch ausgefeiltere Projektoren und wurden in der Filmgeschichte bekannter.

(3) Die Kunstsammlung Pankow wurde 1993 vom Kulturamt Pankow gegründet. Sie besteht schwerpunktmäßig aus einem Kunstkonvolut der 1960er Jahre Ostberlins (aus damaligen Auftragsarbeiten und Ankäufen) und aus Kunstwerken von Künstler*innen, die in Alt-Pankow, Prenzlauer Berg und Weißensee lebten und arbeiteten, die durch die Fusion der Stadtteile 2001 zum Großbezirk Pankow zählen.

(4) Künstler*innen der ›Berliner Schule‹ bezogen sich auf die Klassische Moderne, u. a. auf Maler wie Max Beckmann und Paul Cézanne. Stadt und Landschaft, Menschendarstellungen, Interieurs und Stillleben bildeten oftmals die Motive und wurden mit individuell unterschiedlicher Farbwahl und malerischen Gesten als ein Resonanzgefüge von Empfindungen und einer Innerlichkeit gestaltet.

(5) Das Konzept der Aktion ›Knochengeld‹ wurde maßgeblich von dem Künstler Wolfgang Krause ins Leben gerufen und von der Künstler*innengruppe ›Ioë Bsaffot‹ (Ganoven-Rotwelsch für gefälschte Papiere) realisiert.

(6) Siehe »O2-Galerie Berlin: Knochengeld«, Jürgen Rapp, in: Kunstforum Bd. 149, »Das Schicksal des Geldes«, 2000, S. 172 – 174.

(7) Bärbel Bohley lebte von 1945 bis 2010 in Pankow. Als freischaffende Künstlerin war sie in der DDR starken Repressionen ausgesetzt und gehörte in den 1990er Jahren zur Oppositionsbewegung ›Neues Forum‹. Ihr Sohn Anselm Bohley bewahrt den künstlerischen Nachlass, der bislang unerschlossen ist.

Adressen & Öffnungszeiten, Links

Michel Majerus Estate
Knaackstraße 12, 10405 Berlin
Geöffnet: Samstags von 11.00 bis 18.00 Uhr und nach Vereinbarung
Link Michel Majerus Estate

Museum Pankow, Fotoarchiv
Prenzlauer Allee 227, 10405 Berlin
Termine mit vorheriger Anmeldung
Link Fotoarchiv im Museum Pankow

Kunstsammlung Pankow
Danzigerstraße 101, 10405 Berlin
Termine mit vorheriger Anmeldung
Kunstsammlung Pankow
Galerie Parterre

Hans Vent Stiftung in Pankow
Link: https://hans-vent-stiftung.de/wordpress/

Dr. phil. in art. Birgit Szepanski
ist Künstlerin, Autorin und Dozentin und lebt in Berlin. Nach ihrem Kunststudium an der Kunstakademie Münster und
dem Masterstudium ›Kunst im Kontext‹ an der Universität der Künste Berlin promovierte sie an der Hochschule für
bildende Künste Hamburg zum Thema »Erzählte Stadt« (veröffentlicht im transcript Verlag). Birgit Szepanski hält
Gastvorlesungen und Vorträge zu ihren Forschungsthemen Erzählen in der bildenden Kunst und Stadtwahrnehmung.
Ihre künstlerischen Arbeiten, die sich mit Erinnern und Erzählen im dem urbanen Raum auseinandersetzen, zeigt sie
regelmäßig in Ausstellungen.
www.birgitszepanski.de

…die Angst vor Kunst, dass Kunst etwas Elitäres ist,womit man sich auskennen muss, um sie überhaupt anschauen zu dürfen. Diese Idee würde ich gern aus den Köpfen bekommen…“

In den 70er Jahren gab es einen Boom von Artothek-Gründungen. Die Erwartungen waren hoch in den Anfängen. Wie hat sich das entwickelt?
1968 war das etwas ganz Neues. Die Graphothek Berlin ist die erste Artothek, die in Deutschland gegründet wurde. Das wurde damals sehr gut angenommen. Während der ersten Jahre hat sich die Anzahl der Werke extrem gesteigert. Die Leihe begann mit 160 Werken, 1972 waren es bereits 1200. Eine beachtliche Steigerung, bedenkt man, dass es damals keinen Ankaufsetat gab.

Wie konnten so viele Werke gesammelt werden?
Gesammelt wurden vor allem Druckgrafiken von Berliner Künstlerinnen und Künstlern, die diese Werke der Berliner Graphothek geschenkt haben. Das Projekt hat sich schnell herumgesprochen und es gab viele, die mitmachen und in der Sammlung vertreten sein wollten. Später konnten dann auch Werke angekauft werden, seit 2006 haben wir glücklicherweise einen konstanten Ankaufsetat. Wir sammeln seit 1968 kontinuierlich zeitgenössische Kunst, d.h. wir haben einen guten Querschnitt der Kunst der letzten 50 Jahre. Der zweite Schwerpunkt ist die Klassische Moderne. Da haben wir alle wichtigen Strömungen, z.B. Kubismus, Surrealismus, Expressionismus.

Was war die ursprüngliche Idee der Gründer – Künstler Siegfried Kühl (1929-2015) und Volksbildungsstadtrat Horst Dietze (1927-2014)?
Mit der Graphothek wollten sie verschiedene Ideen verwirklichen. Zum einen die Künstlerförderung: Kommen die Werke zu den Menschen nach Hause, werden auch die Künstler bekannter. Man lädt Freunde ein, die Werke werden von vielen Personen gesehen. Es ist eine ganz andere Kunstwahrnehmung als im Museum. Man geht nicht an Hunderten Werken vorbei, sondern hat drei Werke zuhause und mit denen beschäftigt man sich. Zusätzlich gab es von Anfang an Ausstellungen, um den Künstlerinnen und Künstlern eine größere Reichweite zu ermöglichen. Und es gab die Idee, Verkäufe zu vermitteln. Damals hat das gut funktioniert. Heute ist das kein Schwerpunkt mehr, weil wir in Zeiten des Internets nicht mehr die Vermittler der Kontaktdaten sind.
Ein weiterer wichtiger Aspekt war und ist die Kunstvermittlung, die Idee, dass originale Kunst für jeden zugänglich ist.

Wie viele Nutzer:innen hat die Graphothek?
In den letzten Jahren ist die Zahl mehr oder weniger konstant. Die meisten sind langjährige Kunden, sie haben uns aus Tegel hierher begleitet ins Märkische Viertel, sind mindestens 20 Jahre bei uns. Das ist der grobe Kundenstamm. Dann gibt es Menschen, die neu zu uns kommen, auch Jüngere, Familien. Das sind z.B. die Kinder von Menschen, die in den Anfangsjahren bei uns angefangen haben zu leihen, mit Kunst aufgewachsen sind. Das ist etwas, was unsere Arbeit bestätigt. Wer mit Kunst aufwächst, einen Zugang bekommt, der bleibt bei der Kunst. Das finde ich extrem wichtig.

Der Bildungsgedanke, dass Kunst zu breiteren Bevölkerungsschichten kommt, ist damit auch verknüpft?
Das ist die Grundaufgabe, dass Kunst niedrigschwellig zur Verfügung steht. Wir sind ein offener Raum, jeder kann kommen und sich Kunst anschauen, ohne zu leihen. Das ist kein Muss. Wir haben großes Glück, dass Bibliotheksnutzer kommen, die uns durch Zufall entdecken. Manchmal bemerke ich Bibliotheksnutzer, die zu uns nach oben kommen, weil sie denken, da geht die Bibliothek weiter, zwischen den Bildern stehen und ganz erschrocken sind. Wenn ich sie herein bitte, sage, sie können sich gern umschauen, sind sie teilweise sehr zurückhaltend, sagen „Oh nein, mit Kunst kennen wir uns gar nicht aus.“, und gehen die Treppe gleich rückwärts runter. Das finde ich wahnsinnig schade. Gucken schadet niemandem und stört niemanden.
Es muss sich nicht jeder mit Kunst auskennen. Aber die Angst vor Kunst, dass Kunst etwas Elitäres ist, womit man sich auskennen muss, um sie überhaupt anschauen zu dürfen. Diese Idee würde ich gern aus den Köpfen bekommen.

Kultur- und Kunstvermittlung sind ein wichtiger Aspekt der Graphothek…
Wir haben mehrere Schwerpunkte. Praktische Workshops, wo die Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst aktiv werden, ausprobieren, wie ein Linolschnitt angefertigt wird oder einfach mal einen Pinsel in die Hand nehmen, um eine gewisse Wertschätzung für künstlerische Produktion zu erfahren.
Wir bieten zum anderen kunsthistorische Seminare an, Seminare für Menschen, die überhaupt noch nicht viel mit zeitgenössischer Kunst in Berührung gekommen sind. Sie können sich in kleineren Gruppen über Werke der Graphothek austauschen, alles unter fachlicher Anleitung. Seminare und Workshops werden alle von Künstler:innen und Kunsthistoriker:innen geleitet.
Vor allem wollen wir bestimmte Themen der Kunstproduktion vermitteln: Wie entstehen Kunstwerke? Wie viel Arbeit steckt darin? Was mir auffällt ist, dass z.B. Druckgrafiken mit Reproduktionen gleichgesetzt werden. Das ist ein bisschen Aufklärungsarbeit, die mir selber am Herzen liegt: zu zeigen, was ist ein Siebdruck, wie entsteht eine Lithografie. Was ist eigentlich der künstlerische Aspekt daran?

Wie war das in der Pandemiezeit? Welche Erfahrungen haben Sie da gemacht?
Unser Kundenstamm ist komplett erhalten geblieben. Interessanterweise hatten wir gerade nach den harten Lockdowns auf einmal viele neue Leute in der Graphothek stehen, die sich überlegt haben: Jetzt wollen wir auch Kunst zuhause haben.

Wie stellen Sie sicher, dass die Qualität gewahrt wird? Wer sucht die Kunst aus und nach welchen Kriterien?
Wir kaufen nur Kunst von professionellen Künstlerinnen und Künstlern. Es sind Fachleute, die auswählen: Kunsthistorikerinnen, die sich mit zeitgenössischer Kunst auskennen und beurteilen können, ob ein Werk eine bestimmte Qualität hat und bestimmten Qualitätskriterien entspricht. Das ist ja auch die Idee der Graphothek von Anfang an gewesen: qualitätvolle Kunst anzubieten.

Es ist in Berlin sehr viel gesammelt und angekauft worden. Hat sich das verändert?
Wir haben jedes Jahr Neuerwerbungen und unterstützen damit Künstlerinnen und Künstler. Die Künstlerförderung ist weiterhin ein großes Thema. Das betrifft den ganzen Bezirk. Wir sind eingegliedert im Fachbereich Kunst und Geschichte vom Bezirk Reinickendorf. Dazu gehören die kommunalen Galerien, die Gedenkstätten, das Museum Reinickendorf und die resiART. All diese Orte haben verschiedene Ansätze der Künstlerförderung und Kunstvermittlung. Überall werden Workshops gegeben und überall sind Künstler:innen eingebunden. Die kommunalen Galerien machen Ausstellungen mit professionellen Künstlern und Künstlerinnen. Das ist als Gesamtkonvolut zu sehen.

Wie sieht es mit der Digitalisierung aus? Sie haben ein großes Archiv. Alles auf Papier. Wie sieht die Zukunft aus?
Wir haben Kataloge, wo alle Bilder auf Papier abgedruckt sind, quasi historische Dokumente noch aus den 70er Jahren. Die werden weitergeführt. Unsere älteren Nutzerinnen und Nutzer kennen diese Kataloge, lieben sie. Und deswegen werden sie noch eine Weile bleiben. Wir haben aber seit ein paar Jahren auch eine Datenbank, in der unser kompletter Bestand digitalisiert ist. Sie ist geeigneter, weil sie nicht nur nach Künstlern sortiert ist, sondern z.B. nach Farben. Oder man kann nach Motiven suchen, nach Größen. Zusätzlich haben wir natürlich auch eine Website. Menschen, die neu zu uns kommen, erwarten, digital den Bestand einsehen zu können.

Ist das Konzept Artothek zukunftsfähig? Die Kommunen sind u.a. in der Pandemiezeit belastet worden.
Artotheken haben einen guten Ruf und werden weiterhin gefördert. Sie sind ein wichtiges Standbein in der Berliner Kulturlandschaft. Wir sind mit einem Ankaufsetat bestückt und das ist ja eine Wertschätzung. Es ist nicht abzusehen, dass sich das in nächster Zeit ändern wird.

Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für unser Gespräch genommen haben!
(Das Interview führte Susanne Gupta)

Graphothek Berlin
Königshorster Straße 6, 13439 Berlin
www.graphothek-berlin.de